"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt." Kafkas alptraumhafte Novelle umgesetzt als Graphic Novel.
Keine Frage: Sollte RTL auf die Idee kommen, Sonja Zietlow "Die 10 spektakulärsten ersten Sätze der Weltliteratur" moderieren zu lassen, der Beginn von "Die Verwandlung" würde wohl ganz weit vorne liegen. Eric Cobeyran (Szenario) und Richard Horne (Zeichnungen) sind nun das Wagnis eingegangen, das wohl berühmteste Werk Kafkas in Form einer Graphic Novel zu erzählen. Die bekannte Erzählung lebt natürlich zu einem Großteil von Kafkas Sprachkraft und der Imagination des Lesers – eine Umsetzung in Bildern kann dagegen nur verlieren, möchte man meinen. Doch gleich vorweg sei gesagt, dass sich das Ergebnis durchaus sehen lassen kann.
Schon Nabukow konstatierte, dass Kafka sowohl sich selbst als Autor, wie auch der Leserschaft kein genaues Bild vom Käfer macht; es ist immer nur recht unspezifisch von Ungeziefer, Käfer oder Insekt die Rede. Dieser Kunstgriff bleibt einer visuellen Kunstform wie der Neunten natürlich verwehrt. Zeichner Horne geht diese Problematik offensiv an: Gleich auf der Umschlag-Innenseite ist ein insektenkundlicher Steckbrief der Schabe (in Wort und Bild) abgedruckt und macht klar: Hornes Käfer ist eine Kakerlake.
Im bewussten Gegensatz dazu sind die Gesichter der menschlichen Protagonisten der Handlung nur schemenhaft wiedergegeben – das lässt der Imagination der Leserschaft Raum, die Antlitze zu vervollständigen. Hornes Zeichnungen sind in dunklen Grau- und Brauntönen gehalten und erinnern stark (auch und gerade in der Wahl der Perspektiven) an den deutschen expressionistischen Stummfilm. "Das Cabinet des Dr. Caligari" oder "Der Golem, wie er in die Welt kam" lassen grüßen.
Cobeyran als Autor bleibt in Szenenfolge und Sprache ganz nahe bei Kafkas Original, und das ist gut so. Man kann vielleicht sagen, dass es sich bei Corbeyrans und Hornes Graphic Novel weniger um eine Interpretation von "Die Verwandlung" als um eine Übersetzung (in diesem Fall eine Übersetzung in die spezifische Form des Comics) handelt. So bleiben die vielfältigen Deutungsebenen des Originals zum Großteil erhalten. Sollte es noch immer Menschen geben, die glauben, dass der Comic keine Kunstform beziehungsweise eine Kunstform sei, die anderen (wie der Literatur) unterlegen wäre, der vorliegende Band aus dem Hause Knesebeck könnte sie vom Gegenteil überzeugen.
# # # Gustav Ganz # # #
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