Das Schicksal eines ganzen Königreichs lastet urplötzlich auf den Schultern des Meisterdetektivs.
In seiner langen Laufbahn begegnete Sherlock Holmes immer wieder gekrönten Häuptern, die die Spürnase aus der Baker Street um ihre Hilfe baten. Der aktuelle Fall, der auf verschlungenen Wegen an ihn herangetragen wird, übertrifft die bisherigen Verwicklungen mit dem europäischen Hochadel bei weitem. Niemand Geringeres als die Kaiserin von Österreich wendet sich in größter Not an den beratenden Detektiv, bei einer Zusammenkunft in München unterbreitet sie ein brisantes Anliegen. Ihr Cousin Ludwig II., König von Bayern, droht die Entmündigung und Einweisung in eine Nervenanstalt durch eine Gruppe einflussreicher Personen, die nun eine Gelegenheit gekommen sehen, um selbst nach der Macht zu greifen.
Das Duo aus der Baker Street ist sofort bereit, alles Erforderliche zu tun, den unter Hausarrest gestellten Monarchen zu befreien. Doch der riskante Plan schlägt fehl. Zwar kann Ludwig II. seinen Häschern kurzzeitig entfliehen, die Flucht ins Ausland scheitert allerdings. Noch schlimmer, der Regent des Königreichs Bayern wird tot aufgefunden, vieles deutet auf Freitod hin. Eine Antwort, der die österreichische Kaiserin ebenso wenig Glauben schenkt wie Sherlock Holmes. Der Meisterdetektiv stellt sein gesamtes Können in den Dienst der Wahrheit und ist zu allem bereit, um die wirklichen Todesumstände des oft missverstandenen Königs zu klären.
Die Jubiläen im Hause Titania sind versteckter Natur, manchmal gilt es ganz genau hinzuschauen, welches Geschenk man den Hörern mit einer bestimmten Veröffentlichung eigentlich beschert hat. Die bereits 50. Folge der Serie darf ohne Umschweife in diese Kategorie einsortiert werden. Rein äußerlich gibt es keine Besonderheiten zu bestaunen, allein das Volumen der Episode, das sich über zwei Folgen erstreckt, ist außergewöhnlich. Beim Inhalt jedoch handelt es sich um eine große Hommage an die klassische Detektivgeschichte in einer direkten Verbindung, um einem realen Kriminalfall eine Lösung zu bieten, die die Realität den Menschen bis heute schuldig blieb.
Holmes verlässt hier die Unnahbarkeit des kühlen Detektivs, dem die Lösung eines Falls über alles geht, vielmehr wird er hier zum Kind seiner Zeit, dem es ein wichtiges Anliegen ist, die wahren Umstände eines bis dato nie dagewesenen Mordkomplotts an die Öffentlichkeit zu zerren. Reale Fakten treffen auf die deduktiven Fähigkeiten des fiktiven Detektivs und verweben sich zu einer möglichen Antwort auf Fragen, die die Historie bis heute offengelassen hat. Wir erleben dabei nicht weniger als die Aufarbeitung geschichtlicher Ereignisse in Kombination mit den typischen Stilelementen, die bereits beim geistigen Vater von Sherlock Holmes, Sir Arthur Conan Doyle, ihre Anwendung fanden. Das Ergebnis ist eine fast zweistündige, spannende und unsagbar gut recherchierte Verquickung des realen Todesfalls mit dem Können des berühmten Ermittlers. Am Ende steht eine Auflösung, die eine faszinierende Alternative zu den bisher bestehenden Fakten bietet.
Immer dann, wenn diese Serie reale Hintergründe mit Fiktion verbindet, zeigt sich die ganze Stärke der Skripte von Marc Gruppe. Jeder Szene ist die Akribie anzumerken, mit der historische Fakten und klassische Detektivgeschichte eine glaubhafte Symbiose eingehen. Der Glanz der Romanfigur tritt hier einen Schritt zurück, um eine mögliche Klärung eines realen Kriminalfalls zum wahren Höhepunkt der Story werden zu lassen, ohne dass die Hauptfigur dabei blass erscheint. Nur selten gelingt dieser gewagte Spagat. Das vorliegende Hörspiel markiert ein Beispiel dafür, wie man es richtig und vor allem gut machen kann.
Die Musik ist ebenfalls sehr passt gewählt und nicht selten eine mal mehr, mal weniger versteckte Reminiszenz an das überlebensgroße Werk Richard Wagners, der einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Monarchen Ludwig II. gehabt haben dürfte. Aber auch die übrigen verwendeten Melodien tragen einen großen Teil dazu bei, dass "Der Tod im Würmsee" einen so unglaublich kompakten und homogenen Eindruck hinterlässt.
Eigentlich ist es müßig, bei dieser Episode eine besondere Leistung der Sprecher hervorheben zu wollen, denn wirklich alle Akteure dieser Produktion sind mit viel Freude und großem Eifer bei der Sache und machen dieses Jubiläum auf seine ganz eigene Art zu etwas Besonderem. Neben Joachim Tennstedt und Detlef Bierstedt in den Hauptrollen agieren hier auf höchstem Niveau illustre Namen wie Pascal Breuer, Peter Weis, Torsten Münchow, Daniela Bitte, Thomas Balou Martin und Patrick Stanke. Eine mehr als angemessene Produktion zum ersten großen Jubiläum der Serie. Besonders und empfehlenswert!
