Timothy Grants neuer Job ist langweilig, aber lukrativ: Eine vorübergehende Anstellung als Schwangerschaftsvertretung in der Nachtschicht des örtlichen Leichenschauhauses. Keine schwierige Aufgabe, wenn da nicht all diese Geschichten wären. Die unter den Mitarbeitern kursierenden Gerüchte klingen geradezu lächerlich und albern. Grant mag nicht daran glauben, dass eines der Schubfächer in der altmodischen, aber zweckmäßigen Leichenhalle tatsächlich von einem Geist heimgesucht wird. Trotz aller Vorbehalte ist die Neugier des jungen Mannes geweckt, er beginnt Nachforschungen anzustellen.
Immer neue Details treten an die Oberfläche. Potenzielle Zeugen sprechen davon, dass der Spuk sich erst nach Mitternacht manifestiert. Obwohl Timothy große Zweifel an den Gerüchten hegt, will er Gewissheit und beginnt Schubfach 23 genauer in Augenschein zu nehmen. Die Erwartungen an den Selbstversuch sind gering, umso größer das Erstaunen, als mit Beginn der Geisterstunde tatsächlich Leben in einen zweifellos toten Körper zurückkehrt. Neugier siegt über die Angst. Eine Entscheidung, deren Konsequenzen zunächst im Schatten verbleiben.
Möchte man "Midnight Tales" mit einem Etikett versehen, so schießt sofort der Begriff "Diversität" durch den Kopf. Ein Begriff, vielleicht nicht immer positiv besetzt, ist das Alleinstellungsmerkmal der Reihe dar. Fast jedes Genre, angefangen vom beinharten Thriller über die klassische Gespenstergeschichte und dystopischer Science-Fiction bis hin zum makabren Splatter, findet hier ein Zuhause. Die neueste Episode macht eine Charakterisierung nicht einfach, da eine solche Story bisher so noch nicht stattgefunden hat. Wahrscheinlich trifft das Label "skurrile Geisterstory" am besten auf "Das verfluchte Schubfach" zu.
Tatsächlich sind wirkliche Schockmomente oder unheimliche Szenen nicht zu finden, eher wendet man sich dem Thema Spuk auf humorvolle Art und mit einem Augenzwinkern zu. Weniger unterhaltsam ist diese Folge damit keinesfalls, denn die nächtlichen Ereignisse im Leichenschauhaus werden zu keiner Sekunde langweilig und schaffen es über die gesamte Distanz, den Hörer zu begeistern. Auch wenn es im aktuellen Output tatsächlich heiterer als gewohnt zugeht, so verzichtet man jedoch keinesfalls auf ein weiteres zentrales Erkennungsmerkmal der "Midnight Tales", denn der Twist am Ende dürfte durchaus überraschen.
Wie bereits angedeutet stehen hier ebenfalls übersinnliche Ereignisse im Zentrum des Geschehens. Um diesen ein höchstmögliches Maß an Glaubwürdigkeit zu verleihen, sind gerade die Dialoge ein wichtiges Mittel für Authentizität. So viel darf durchaus verraten werden: Der Plan ist bei der vorliegenden Folge aufgegangen. Alle Gespräche wirken wie aus dem Leben gegriffen, die musikalische Gestaltung tut ein Übriges, um den subtilen Einbruch des Paranormalen und Verstörenden in den Alltag angemessen zu untermalen.
Die eingesetzten Soundeffekte fangen die Szenen in der nächtlichen Leichenhalle sehr plastisch ein und schaffen es problemlos, die Fantasie des Hörers anzuregen und die Ereignisse in Gedanken abzubilden. Joseline Gassen darf man ohne Umschweife als den heimlichen Star dieser Episode bezeichnen. Ihre warme Stimme in Verbindung mit der heiteren Art zu plaudern scheint zunächst im Kontrast zur Rolle zu stehen, stellt sich aber mit jeder verstreichenden Minute als Glücksgriff für die Figur heraus. Einen Kurzauftritt in wohl einer seiner letzten Rollen absolviert Helmut Krauss, dessen unverwechselbare Stimme dieser Produktion ein weiteres Gütesiegel verleiht.
In der Hauptrolle ist Marios Gavrilis zu hören, der die verschiedenen Gemütslagen des Timothy Grant mit seiner Stimme gut einzufangen weiß. In weiteren Rollen sind Katja Keßler, Constantin von Westfalen und Florian Hoffmann zu hören, die den positiven Gesamteindruck abrunden. Wieder gelingt es den "Midnight Tales", den vielen unterschiedlichen Themen eine neue Facette hinzuzufügen. Garantiert gute Unterhaltung!