Edward Prendrick ist durch die Hölle gegangen. In letzter Sekunde kann er sich von einem havarierten Schiff retten, um dann ziellos in einem Rettungsboot auf dem Ozean zu treiben.
Die Kollision mit einem übersehenen Wrack lässt das Schiff von Edward Prendrick binnen weniger Minuten sinken. Außer ihm können sich nur zwei weitere Passagiere in Sicherheit bringen. Doch der Schrecken hat damit keinesfalls ein Ende, schnell machen sich Hunger und Durst in dem viel zu kleinen Rettungsboot breit. Schließlich macht einer der anderen Überlebenden einen unglaublichen Vorschlag. Um am Leben zu bleiben, soll sich einer der drei Schicksalsgefährten freiwillig opfern, um den anderen das Weiterleben zu sichern. Eine Idee mit fatalen Folgen, es kommt zu einem Streit, dem die beiden Begleiter Prendricks zum Opfer fallen. Die Chancen, den Weiten des Ozeans doch noch lebendig zu entkommen stehen schlecht, als er tatsächlich von einem vorbeifahrenden Kahn gerettet wird.
Zunächst sieht alles nach einer glücklichen Fügung aus, zwar begegnet man Prendrick zunächst mit Skepsis, aber rettet dennoch sein Leben. Die Stimmung kippt jedoch, als er sich mit den Vorwürfen konfrontiert sieht ein Kannibale zu sein. Man zwingt ihn, mit dem einzigen anderen Gast an Bord auf einer abgelegenen Insel von Bord zu gehen. Doch die Gastfreundschaft des Fremden und von Dr. Moreau, dem das einsame Eiland gehört, erweisen sich als trügerisch. Welches dunkle Geheimnis versucht man vor dem Neuankömmling zu verbergen? Noch ahnt Prendrick nicht, mit wem er es zu tun hat und welch abscheuliche Entdeckungen noch auf ihn warten.
Nachdem H. G. Wells bereits mit
"Der Unsichtbare" ein Forum im "Gruselkabinett" geboten wurde, wendet man sich nun im direkten Anschluss mit "Die Insel des Dr. Moreau" einem weiteren Klassiker des Schriftstellers zu und setzt diesen als Hörspiel in Szene. Stellt sich die Frage nach einem Oberbegriff für die fantastischen Geschichten von Wells, so können sie ohne Probleme unter dem Etikett "zeitlos" firmieren. Es sind nicht allein die unheimlichen und spannenden Elemente, die seine Stoffe ausmachen, sondern dass sie allesamt einen Kern enthalten, der moralische und gesellschaftliche Fragen thematisiert, welche auch heute viele Jahre nach der Veröffentlichung nichts an Brisanz eingebüßt haben.
"Die Insel des Dr. Moreau" ist da keine Ausnahme. Immer wieder blitzt hinter den vordergründigen Ereignissen die Frage auf, wie weit der Mensch gehen darf, um seine ihm angeborene Neugier und den wissenschaftlichen Wissensdurst zu stillen. Was ist noch vertretbar und was verwerflich? Überlegungen, die dem Leser bereits vor Jahrzehnten begegneten und auch heute noch dem Hörer des Hörspiels nicht loslassen dürften, denn es ist Titania Medien wieder einmal gelungen, auch diesen unterschwellig vorhandenen Themenkreis einzufangen und zum Hörer zu transportieren.
Natürlich lebt die Story von der spannenden Frage, welche Geheimnisse auf der Insel des Doktors im Dickicht des Dschungels verborgen liegen und dem Grauen, das man empfindet, wenn es einem dann schlussendlich ins Gesicht springt. Dieses Grauen wird perfekt eingefangen, man ist hautnah dabei, wenn Prendrick endlich den Schleier lüftet und einen Blick auf die wahren Verhältnisse der Insel erhascht. Auf billige Effekte wird zugunsten von Tiefgang verzichtet, was der Handlung sichtlich guttut. Sehr begrüßenswert ist auch der Umstand, dass man dem Plot Zeit gibt sich zu entwickeln und auf Kürzungen des Originals weitestgehend verzichtet hat. Die Dialoge schaffen es, den Horror der Situation auf der Insel, die Angst und Sorge der Hauptfigur, aber auch den Wahnsinn von Doktor Moreau abzubilden und gekonnt auf den Punkt zu bringen.
Die Soundeffekte sind dieses Mal etwas mehr im Vordergrund zu finden, was natürlich der besonderen Situation auf der Insel geschuldet ist. Man hat nicht darauf verzichtet, das Leid, das verstohlen unter der Oberfläche existiert, auch für den Hörer greifbar und fühlbar zu machen, was für ein ungutes und beklemmendes Gefühl beim Verfolgen der Ereignisse sorgt. Verschiedene Gefühle der Tiermenschen werden allein mit wenigen Lauten geäußert und doch weiß jeder sofort, was gemeint ist. Beeindruckend, wie es gelungen ist, diese schwierige Aufgabe zu lösen.
Dazu wird das Feeling einer abgelegenen, mit Dschungel bedeckten Südseeinsel bestens erfasst. Hier bleiben keine Wünsche offen. Dasselbe kann man von der musikalischen Gestaltung sagen, die verwendeten Kompositionen und Melodien fangen die Atmosphäre der jeweiligen Situation passend und gekonnt ein und runden das gelungene Gesamtbild ab. Man darf hier tatsächlich von einer filmreifen Untermalung der Geschehnisse sprechen, die zwar einerseits die exotische Kulisse einfängt, die düsteren und menschenverachtenden Versuche auf der Insel jedoch keinesfalls ausspart.
Um diesen Klassiker gebührend in Szene zu setzen, hat man sich dazu entschlossen einige der aktuell bekanntesten Sprecher zu verpflichten. Natürlich garantieren große Namen nicht automatisch ein gutes Hörspiel, doch so viel sei verraten, hier hat man alles richtig gemacht. Horst Naumann ist mit seiner rauen und barschen Stimme genau die richtige Besetzung des versoffenen und durchtriebenen Kapitän Davis, Louis Friedemann Thiele als Edward Prendrick zu hören und schafft es, das gesamte Grauen seiner langen Reise mit seiner Stimme einzufangen. Eine überzeugende und einfühlsame Leistung. Rolf Berg schlüpft in die Rolle des desillusionierten, an den grauenvollen Ereignissen auf der Insel zerbrochenen Gehilfen des Doktors.
Lutz Riedel gibt Doktor Moreau und präsentiert ihn seinem Publikum als geheimnisvollen und selbstverliebten Wissenschaftler, der die Errungenschaften des Fortschritts über alles stellt. Hans Beyer, Bodo Primus und Rainer Gerlach verkörpern die vom Doktor erschaffenen Kreaturen und mit wenigen Sätzen schaffen sie es dennoch, das Leid abzubilden, das zu ihrer jetzigen Existenz geführt hat. Ebenfalls eine sehr überzeugende Arbeit! "Die Insel des Dr. Moreau" darf man ohne Einschränkungen zu den Highlights der jüngeren "Gruselkabinett"-Vergangenheit zählen.