Vermintown ist zum miniaturisierten Sündenbabel geworden, das einer Läuterung bedarf… und nach dem Willen des neuen Ober-Ältesten besser früher als später.
Während die Zukunft von Avatar Press weiterhin im Unklaren bleibt, schneidet sich Josua Dantes weiterhin die Filetstücke aus dem Portfolio des US-Verlags heraus und macht der hiesigen Leserschaft feine deutschsprachige Erstveröffentlichungen zugänglich. Dazu darf nun auch "Disenchanted" von Simon "Si" Spurrier gezählt werden, dessen vorliegender Band die zweite Hälfte des insgesamt 46 Episoden umfassenden Webcomics enthält und uns erneut in die Abgründe unterhalb Londons führt, sowohl im tatsächlichen als auch übertragenen Sinne. In einer nie in Betrieb genommenen Metro-Station wuselt das sogenannte "kleine Volk" durch das über die Zeit zum gigantischen, wenngleich für menschliche Verhältnisse winzigen Großstadtmoloch verkommene Vermintown.
Die Stimmung ist angespannt wie nie, denn die Gangkriminalität und der Handel mit der Droge Grein liefern ordentlich Zündstoff für das explosive soziale Gemisch, das sich zusammenbraut. Welche Folgen eine abgehobene Herrscherklasse, korrupte Gesetzeshüter und eine Jugend ohne Perspektiven haben können, lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Familie Leveret ablesen, die wie die Gesellschaft als Ganzes auseinanderzufallen droht. Stote Leveret ist zu einem Handlanger der Mächtigen geworden, der schmutzige Jobs ausführen muss, um seine Schulden zu tilgen. Seine Sorgen vertraut er ausgerechnet der Bettlerin Wulla an, die zu den Boggarts gehört.
Gegen diese weitgehend rechtlose Gruppe plant die Miliz, der wiederum Stotes Schwester Sal angehört, einen umfassenden Schlag, doch auch in den Reihen der Gesetzeshüter liegt einiges im Argen und verhindert, dass ihre Tante ein wachsames Auge auf die beiden Brüder Fig und Tael werfen kann. Während sich der eine tief in die Bandenkriminalität verstrickt und noch dazu ein Drogenproblem anlacht, vermag sich der andere nicht aus dem Bann des frischgebackenen Ober-Ältesten zu befreien. Das sollte er aber ehestmöglich, denn Noro ist den althergebrachten Traditionen verbunden und nicht nur sprichwörtlich Feuer und Flamme für deren radikale Verteidigung.
Das Voranschreiten der Handlung gleicht beim Lesen irgendwie dem Erwarten einer herannahenden und unweigerlich eintretenden Katastrophe, von der man sich dann doch nicht abwenden kann. Wie sich das Finale von "Disenchanted" gestaltet, soll hier natürlich keineswegs verraten werden, doch die verschiedenen Stränge, die bis zum finalen 46. Kapitel der von German Erramouspe und Digikore Studios paradoxerweise ebenso farbenfroh wie düster gezeichneten Erzählung zusammenlaufen, lassen nichts allzu Gutes für das weitere Schicksal von Vermintown erwarten. Und leider auch für die Welt darüber, denn der Clash zwischen Pluralismus und Freiheitsdrang einerseits und reaktionärer Halsstarrigkeit einerseits sollte auch als Warnung für so manchen "Kobo" unserer Politikerkaste dienen.
# # # Andreas Grabenschweiger # # #
Publisher: Dantes Verlag
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