Laut Uatu ist die Erde zum Untergang verdammt, doch nicht nur sein Nachfolger scheint anderer Meinung zu sein.
Aaron Stack alias Machine Man wurde im Prolog von "Earth X", mit dem in
Band 188 der Marvel-Sammelreihe eines der erfolgreichsten Projekte des "House of Ideas" in den 1990ern seinen Ausgang nahm, auf den Mond versetzt, um dort Uatus Job als Beobachter zu übernehmen. Dieser erblindete vor 20 Jahren, als sich eine Seuche auf der Erde ausbreitete, die allen Menschen Superkräfte verlieh und Helden im Grunde obsolet machte. Beide Zwischenfälle annähernd zur selben Zeit waren kein Zufall, überdies weiß Uatu mehr als er zugeben will. Wie das Kreativteam um Alex Ross, Jim Krueger und John Paul Leon in den weiteren Kapiteln enthüllt, ist er allerdings nicht der einzige Geheimnisträger.
Vieles bisher Verborgene kommt nach und nach ans Licht, doch womöglich kann das Wissen, das X-51 nun ansammelt, nichts mehr am Verlauf des Schicksals ändern, das der Erde vor Äonen zugedacht wurde. In diesem Lichte erscheinen die Vorgänge, die es dort zu beobachten gilt, im Grunde sinnlos, denn wozu sollte Captain America noch eine Koalition aus den letzten verbliebenen Helden gegen den neuen Skull schmieden, wenn die Zerstörung des ganzen Platen ohnehin unausweichlich sein dürfte? Da der neue Beobachter aber seine menschliche Programmierung entgegen dem Wunsch von Uatu nicht gelöscht hat und die Menschheit sehr wohl retten will, gibt es selbst im Angesicht des Untergangs noch Hoffnung, für die nicht nur die vordergründig gescheiterten Genies Reed Richards und Tony Stark stehen.
"Earth X" darf ohne Umschweife als eine der besten Erzählungen überhaupt betrachtet werden, die Marvel jemals hervorgebracht hat. Die gigantische Kulisse, die Ross/Krueger hier entfalten, umfasst nicht mehr und nicht weniger als einen kompletten Schöpfungsmythos für das Marvel-Universum, der viele Einzelaspekte aus dessen reichhaltiger Historie zu einem großen Ganzen zusammenfügt, quasi nebenher eine Geschichtsstunde zu den bekanntesten Charakteren bietet und nicht wie so oft bloß die Frage nach dem Wesen des Heldentums stellt, sondern (unter anderem exemplarisch durch X-51) auch, was einen Menschen ausmacht und wie er durch seine eigenen Entscheidungen ein angeblich unabwendbares Schicksals beeinflussen kann.
Die Reife der von John Paul Leon und seinen künstlerischen Mitstreitern in unglaublich atmosphärischen Bildern festgehaltenen Erzählung verdeutlicht nicht zuletzt, dass sie auf die im Superhelden-Kontext übliche Action fast komplett verzichtet, sich die Dramatik primär in den Dialogen entfaltet und ihr ein visionärer Geist innewohnt: Spätere Entwicklungen im regulären Marvel-Universum wie das Zünden einer Terrigen-Bombe, eine weibliche Thor oder Storm und Black Panther als Eheleute werden hier ebenso vorweggenommen wie das im Grunde ideologiefreie Böse des neuen Skull, der in Populisten wie Donald Trump seine Entsprechung in unserer realen Welt findet. Ein Meisterwerk auf vielen Ebenen, dessen Comeback in deutscher Übersetzung zur Perfektion lediglich (ausgerechnet!) die dazugehörige "Wizard"-Halbnummer gefehlt hätte.
# # # Andreas Grabenschweiger # # #
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