Karl H. Stingeder stellt das Augmented-Reality-Game "Ingress" vor, das von Google entworfen und umgesetzt wurde. Dabei betont er, dass mit diesem Spiel eine gänzlich neue Form der "Interaktivität" gefunden wurde, die aber auch Fragen nach der digitalen Überwachung mit sich bringt – digital-interaktives "Schere-Stein-Papier" im Spannungsfeld zwischen "ludologisch-sozialem Habitus" und gamifiziertem Datamining.
Abstract
Das an das "Geocoaching"-Spielprinzip erinnernde Augmented-Reality-Game "Ingress" ist auf allen mit Android-Betriebssystem ausgestatteten Smartphones spielbar. Das Alleinstellungsmerkmal des Spiels ist gleichzeitig auch das beste Patentrezept für bzw. gegen notorisches "Couch-Potatoing": Das Game-Design des "Draußenspiels" erfordert jedoch stets die physische Anwesenheit der Spieler am realen Ort des Geschehens, meist touristisch attraktive Sehenswürdigkeiten und architektonisch markante Plätze. Sobald "Ingress" per App am Smartphone gestartet wird, stehen Interaktionen und Machtverhältnisse auf dem Handy-Display im Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Die Spielgrafik ist auf das Wesentliche reduziert und erinnert an die Optik von Videospielen der 1980er Jahre. "Ingress" im Allgemeinen sowie "#13Magnus", die erste von Google organisierte Fan-Veranstaltung Österreichs mit mehreren hundert Teilnehmern und ist mit einer "digitalen Schnitzeljagd" vergleichbar: Gemeinsam ist der klassischen Schnitzeljagd und dem digitalen "Schere-Schein-Papier"-Prinzip von "Ingress" die tragende Rolle des im Spiel entstehenden Gemeinschaftsgefühls, welche in einer hohen Langzeitmotivation mündet. Trotz aller Euphorie ob des unkonventionellen Augmented-Reality-Spielkonzepts und des in Folge der sozialen Dynamik außergewöhnlichen Suchtpotentials, ist angesichts von Edward Snowden und vielfältiger NSA-Abhörmaßnahmen eine gesunde Portion Skepsis angebracht: Welchen Zweck erfüllt "Ingress"? Gibt es ein verhülltes "Mittel zum Zweck"? Welche Gefahren bestehen mit einer systematischen Auswertung des umfangreichen, ortsrelevanten Daten-Sammelsuriums? "Ingress" verdeutlicht trotz aller Risiken den soziokulturellen Bedeutungswandel des digitalen Spiels: Spiele per se und das Spiel als soziale Interaktion sind aktuell dabei, alle Bereiche unseres Lebens zu erfassen.
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Samstag, 16. November 2013 – "I-Day" in Wien. An diesem Tag findet an vielen Punkten Wiens simultan der erste offizielle, von Niantic Labs, einer Google-Tochter, veranstaltete "Ingress"-Community-Event namens "13Magnus" statt [1]. Als einer von über 300 Teilnehmern [2] und mit meinem Samsung Galaxy-Smartphone bewaffnet, nehme ich am – teils an einen Flashmob erinnernden Get-together – in der Rolle meines virtuellen Alter Egos "Charly23" teil. Gemeinsam mit unserem Team-Navigator "kauderwelsch" und meinem Arbeitskollegen und Kampfgefährten "duzz" kämpfen wir von 13 bis 17 Uhr in der Fraktion der "Erleuchteten" ("The Enlightened") um Portale, Portalknüpfungen ("Links") und Felder (drei miteinander verknüpfte Portale resultieren in einem Feld). Ausgehend vom Schwarzenbergplatz gelangen wir schließlich über die Kärntnerstraße bis zum Stephansplatz. Der sehr spannende Showdown findet kurz vor 17 Uhr am Wiener Graben statt. Der nachmittägliche "#13Magnus"-Gefechtseinatz in Wien krönt meine etwa sechsmonatige, von Mai bis Mitte November 2013 andauernde "Ingress"-Spielkarriere.
Ein halbes Jahr nach der Taufe von "Charly23" und fünf Level-Stufen später finde ich mich am frühen Nachmittag des 16. Novembers 2013 am Schwarzenbergplatz in Wien wieder, umringt von "Ingress"-Gleichgesinnten. Allen Teilnehmern gemeinsam ist der konzentrierte Blick auf das Smartphone, unterbrochen lediglich durch gelegentliche, kurze koordinierende Zurufe ("Jetzt angreifen!"), nervösen Blickwechseln zu anderen Teammitglieder oder lauten Jubelschreien. Passanten reagieren auf die nicht gerade alltägliche Gruppenbildung mit Schmunzeln oder Kopfschütteln. Gelegentliches Nachfragen nach der Motivation der "Versammlung" wird mit "Ingress!" stets höflich beantwortet. Da sich jedoch nur ein Bruchteil der Passanten Zeit nimmt und tiefschürfend nachfragt, widmen sich die angesprochenen "13Magnus"-Teilnehmer unserer Spielgruppe zügig wieder dem Agenten-Dasein und der virtuellen Machtbalance zwischen den Fraktionen "Enlightened" und der "Resistance". Es ist eine globale Schlacht, welche im November 2012 mit einer geschlossenen Beta-Phase ihren Anfang genommen hat. Das Spielfeld ist die ganze Welt und die Betaphase dauert bis heute – allerdings ist es jetzt, nach dem rund einjährigen Bestehen des Spiels, etwas leichter, an „Keys“, also an Türöffner zur Welt zu gelangen. Keys sind virtuelle Zugangsschlüssel zum Spiel und waren gerade in der Startphase Ende 2012/Anfang 2013 ein seltenes und heißbegehrtes Gut.
"Ingress" und der "#13Magnus"-Event in Wien sind mit einer "digitalen Schnitzeljagd" vergleichbar. Das an das Geocoaching-Spielprinzip erinnernde Spiel ist aktuell auf allen mit Android-Betriebssystem funktionierenden Smartphones lauffähig, ab 2014 können auch Apple iOS-Nutzer "Ingress" spielen. (Schischka 2013: Internetquelle) [3]
Das Alleinstellungsmerkmal ist gleichzeitig auch das beste Heilmittel für bzw. gegen notorisches "Couch-Potatoing". Zwar dreht sich in "Ingress" alles rund um die spieleigenen Symbole und Aktionen, welche auf dem Display des Smartphones in funktionaler Grafik dargestellt werden, doch sobald das Spiel per App am Smartphone gestartet wird, erfordern Spielrahmen und Ziele des Draußenspiels stets die physische Anwesenheit der Spieler vor Ort. Das Spielfeld ist daher grundsätzlich die gesamte Welt. Smartphone und App bilden lediglich die Brille, welche den virtuellen Kampf rund um Portale und der geheimnisvolle Energiematerie sichtbar macht. Diese Tore sind spielerischer Dreh- und Angelpunkt, weil sie Quellen für besagte Energie sind. In der wirklichen Welt sind "Ingress"-Portale meist an markanten Punkten platziert: Klassische Touristenattraktionen, wie in Wien der Stephansdom oder das Hundertwasserhaus, Verkehrsknotenpunkte wie Wien Mitte oder sonstige hervorstechende Erlebnisstätten wie die Wasserspiele am Schwarzenbergplatz, der Startpunkt des "#13Magnus"-Events.
Ähnlich wie in der fiktionalen Hintergrundgeschichte beim Echtzeitstrategie-Hit aus dem Jahre 1995 "Command & Conquer: Der Tiberiumkonflikt" – hier führt der wie aus dem Nichts auftauchende Tiberium-Rohstoff zum Konflikt zwischen den GDI als multinationaler Streitmacht der Vereinten Nationen und der (sich einer Guerillataktik bedienenden) Rebellentruppe namens Bruderschaft von NOD (vgl. unbek. Autor: Internetquelle 2005) [4] – wirbelt bei "Ingress" die Entdeckung einer neuartigen, mysteriösen Energieform die globale Machtbalance ordentlich durcheinander. Bei "Ingress" handelt es sich um die Energieform "Exotic Matter" (Kurzform: XM), welche sich wie aus dem Nichts und aus einer unbekannten Dimension – die US-Fernsehserie "Fringe" lässt grüßen – wie ein Lauffeuer über die Portale als Tor zur anderen Dimension ausbreitet. Während die Erleuchteten ("Enlightened") die neue Energieform mit offenen Armen aufnehmen und sich wissbegierig an die Erforschung des "Exotic Matter" machen, betrachtet der Widerstand ("Resistance") das überraschende Auftauchen des neuen Rohstoffs skeptisch und verfolgt eine Strategie der Eindämmung und strikten Kontrolle. In der fiktionalen Hintergrundgeschichte entbrennt nun ein erbitterter Kampf um die globale Dominanz. Im Spielalltag der "Ingress"-Spieler spiegelt sich diese strategische Komponente im Erobern und Verteidigen von Spiele-Portalen wider.
Befindet man sich in der wirklichen Welt samt Smartphone und aktivierter "Ingress"-App in der Nähe einer Sehenswürdigkeit samt aktivem Portal, serviert das Spielprinzip eine Hand von Interaktionsmöglichkeiten. An vorderster Front steht das sogenannte "Hacken" von Portalen, welche mit dem aus "World of Warcraft" bekannt gewordenen "Farmen" von dringend benötigten Spielmaterialien resultiert. "Farming" erfolgt bei "Ingress" insofern, als Spieler in Folge sämtlicher erfolgreichen Hacking-Aktionen mit entscheidenden Gegenständen belohnt werden, welche den Spielfortschritt vorantreiben. Jedes Mal, wenn Spieler ein Portal erobern möchten, funktioniert dies mit den so genannten "XMP-Bursters". Als einziges Interaktionselement fungieren diese "Burster" als Waffen, da sie über Offensivkapazität verfügen und feindliche Portale zerstören können. Ähnlich wie beim Charakter-Level des Alter Egos aller "Ingress"-Spieler der Fall, verfügen sowohl Angriff- als auch Defensiv-Mechanismen (z.B. "Resonators") über unterschiedliche Wirkungsgrade ("Level") und verbrauchen unterschiedlich viel Energie ("XM").
Werden nun Portale nicht nur "gehackt", um gemäß des "Farming"-Spielprinzips an nützliche Gegenstände (beispielsweise erwähnte "XMP-Bursters", "Resonators" oder unterschiedliche "Portal-Upgrades") zu erlangen, sondern auch erobert und alle acht Resonatoren-Plätze bestückt, kann eine Vernetzung mit anderen Portalen der eigenen Fraktion erfolgen. Vorausgesetzt, man ist im Besitz des jeweilig passenden Portal-Schlüssels. Hier gilt die Faustregel: Je besser vernetzt die Portale untereinander sind, desto herausfordernder wird es für die gegnerische Fraktion, Tore der eigenen Spielfraktion einzunehmen. An dieser Stelle wird die taktische Komponente des Spiels auf eine strategische Ebene des Portal- und Energiekonflikts gehoben. Eine derartige "überregionale" Spielsituation kam am 16.11.2013 im Zuge des "#13Magnus"-Events bereits in der Anfangsphase am Schwarzenbergplatz zum Tragen.
Dem Widerstand ("Resistance") gelang es bereits in einer frühen Phase, ein Portalfeld (ein Feld kann durch Verknüpfung mindestens dreier Portale erzeugt werden) von Wien nach Niederösterreich zu spannen, um so die eigene Schlagkraft zu erhöhen. Folglich hätte ein Teil der im "Enlightened"-Spielverbund aktiven Teilnehmer tatsächlich nach Niederösterreich fahren müssen, um dortige Portale einnehmen zu können. Trotz des vordergründigen – an den Kalten Krieg erinnernden und klar definierten – Konflikts zwischen zwei klar abgegrenzten Großmächten, steht die Freude am gemeinsamen Spiel im Mittelpunkt. Der strategische Feldzug mittels territorialer Besetzung à la "Risiko" ist ein durchaus interessanter Aspekt und bereichert "Ingress". De facto schiebt jedoch das Game-Design der reellen und dem Spielspaß wenig zuträglichen Umsetzung von globaler Dominanz durch eine der beiden Konfliktparteien einen Riegel vor: "ingress wird niemals von einer Partei gewonnen werden – das lässt schon der spielalgorithmus nicht zu. die hauptsache ist eine menge spaß in einer guten […] Community“ [5], so ein Forenkommentar vom 18.11.2013 im Zuge eines Online-Artikels rund um den ersten Österreichischen "Ingress"-Event in Wien am 16.11.2013.
"Ingress" funktioniert in Folge einer guten Mischung. Dank der Balance zwischen dem aus Echtzeit-Strategie-Videospielen bekannten "Schere-Stein-Papier"-Prinzip und den bei Rollenspiel- und Online-Rollenspielen im Mittelpunkt stehenden Charakter-Level-Stufen. Je höher bei "Ingress" der eigene Level, desto stärker die eigene Offensiv- und Defensivschlagkraft.
Langzeitmotivation und Suchtpotential entfalten sich bei "Ingress" maßgeblich durch die Vielzahl der gebotenen sowie durch die Community selbst geschaffenen Interaktionskanäle: Die Basis wird mit In-Game-Kommunikation, d. h. Spielchat und Logfenster gelegt. Externe Vernetzungsmöglichkeiten wie z. B. Communities auf Facebook, Google+ oder eigens eingerichtete Websites mit Forum verstärken die soziale Verdichtung und fördern eine soziale "Vergemeinschaftung" (Vervgl. Inderst 2009: 240, zit. von Stingeder 2011: Internetquelle) [6]. Elementar dabei ist das von vielen MMORPG bekannte Spielprinzip von derart gestalteten Spielaufgaben, welche lediglich im Verbund mit mehreren Spieler erfolgreich gelöst werden können (sogenannte "Raids"). Während bei "World of Warcraft" besonders starke "Boss-Gegner" oder in "Star Trek Online" starke Raumschiffe oder Flotten im Zuge von gemeinsam abzuwickelnden In-Game "Raids" gemeistert werden, stehen bei "Ingress" die Portale an "echten" Schauplätzen im Mittelpunkt. Und da sich Spieler im Verbund nicht nur online, sondern häufig auch face-to-face treffen, um stark verteidigte Portale oder Portal-Netzwerke zu demontieren, wird die soziale Bindung auf ein neues Niveau gehoben. Somit hat Niantic Labs die beste Basis für soziale Interaktion und "Vergemeinschaftung" (vgl. Inderst 2009, zit. von Stingeder 2011: ebd.) [7] gelegt. Was gibt es Lustigeres als mit guten Freunden die Welt – Portal um Portal – zu erobern und damit auch noch Kulturelles zu verbinden, nämlich gemeinsam Orte und Sehenswürdigkeiten zu besuchen, die man ansonsten nicht zu Gesicht bekäme?
Trotz aller Euphorie angesichts des innovativen spielerischen Rahmens und bedingt durch die außergewöhnliche große Rolle der sozialen Komponente, läuten angesichts von Edward Snowden und der kürzlich in den Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangten Enthüllungen rund um systematische Spionage-Aktivitäten seitens der NSA (vgl. Möchel 2013: Internetquelle) [8] die Alarmglocken: Welchen Zweck erfüllt "Ingress"? Inwiefern wertet Google das zahlreiche, standortrelevante Datenmaterial systematisch aus? Welche Gefahrenpotentiale bergen derartige Datamining-Mechanismen? Immerhin handelt es sich um eine populäre Spiele-App, welche clever verpackt und in lang anhaltendem, durch die soziale Interaktion verstärktem Spielspaß, präzises, umfangreiches, relativ einfach auswertbares und miteinander vernetzbares Daten-Feedback ermöglicht.
Stefan Porteck schreibt in diesem Kontext in Ausgabe 6/2013 des am 25.02.2013 erschienen "c’T" Magazins für Computertechnik: "Da stellt sich die Frage, ob und wofür Google diese Daten nutzt. Auf unsere offizielle Anfrage antwortete Google bzw. Niantic mit Standardfloskeln: Derzeit liege der Fokus darauf, Ingress zu einem großartigen Spiel zu machen." (Porteck 2013: 84) [9] Die weitere Analyse der Funktionsweise des Dataminings bzw. der Umstand, dass ohne ortsgebundenen Daten-Austausch "Ingress" nicht funktioniert, offenbart jedoch beachtliche Gefahrenpotentiale: "Ist GPS aktiv, senden Android-Smartphones die Ortsdaten umliegender WLANs an die Google-Server. Mit Hilfe dieser WLAN-Ortsdatenbank können auch Smartphones mit abgeschaltetem GPS ihre Position deutlich exakter bestimmen als anhand von großen GSM-Funkzellen. […] So funktioniert unter anderem ortsbezogene Werbung in Suchergebnissen nur, wenn Google auch wirklich weiß, wo sich der Nutzer befindet." (Porteck 2013: 85) [10] Hinzukommt, dass Google 2013 die Navigations-App "Waze" gekauft hat, eine Applikation, welche die Bewegungs- und Standortanalyse des Straßen- und Personenverkehrs ermöglicht. Der Nutzen für App-User besteht darin, dass der kürzeste Weg tagesaktuell und mit Hilfe von Nutzerinformationen ausgegeben wird. (vgl. Zeit Online: 2013, Internetquelle) [11] Somit liegt eine Verwendung von Nutzerdaten für Google-Navigations-Dienste wie beispielsweise Google Maps nahe.
Es bedarf keines IT-Security-Experten, um hier eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle im Kontext einer systematischen Auswertung von Bewegungsdaten-Algorithmen zu erkennen: "Ingress"-Spieler bieten – durch die "Google-Brille" (bildlich gesprochen, gemeint ist nicht das Produkt "Google-Glass"!) betrachtet – eine perfektes und kosteneffektives Geo-Analyse- bzw. Datamining-Werkzeug. "Ingress"-Spieler schlüpfen folglich in die Rolle des "gläsernen Menschen", welche effektiv und effizient die Google-Ortsdatenbanken befüllen. Und selbst wenn Google die Daten nicht mit schadhafter Intention verwendet, bietet alleine schon die Daten-Speicherung ein beachtliches, negatives Synergiepotential. Hier sei auf eine mögliche, in der Zukunft erzwungene oder freiwillige Kooperation mit Spionagediensten hingewiesen. In dieses Gesamtbild passt auch, dass im Vorfeld des "#13Magnus"-Events Webforum-Serveradministrator-Zugänge der "Enlightened" durch die "Resistance" gehackt wurden. Im Zuge dessen konnte mit der App "Zello" mitgehört werden. Die Dauer der Inter-Fraktions-"Spionage" und Folgen für den Ausgang des "#13Magnus"-Events am 16.11.2013 sind aktuell noch nicht vollständig geklärt, jedoch gibt es eine hitzige Debatte im Webforum von Österreichs "Enlightened"-"Ingress"-Fan-Community. (vgl. Webforum-Thread des Foren-Users "snuffi" 2013: Internetquelle) [12]
Auf das prinzipielle Gefahrenpotential von Datamining während des "#13Magnus"-Events angesprochen ("Wie siehst du als "Ingress"-Veteran [den] Spielspaß auf der einen Seite und [die Rolle des] Datenschutzes auf der anderen Seite"?), antwortet "Ingress"-Spieler "kauderwelsch": "Wenn sich jemand am Umstand stört, dass mit Ingress Daten gesammelt werden, dann spielt man auch nicht Ingress. Wir haben ja generell alle einen Gmail-Account oder einen Facebook-Account. […] Man muss wissen, was es einem wert ist. [Ich spiele Ingress] weil man andere Leute kennenlernt". Interviewer: "Wohlwissend, dass es eine Datamining-Geschichte ist?". "kauderwelsch": "Ja, natürlich. Denn ansonsten wäre das so nicht alles kostenlos und es würde auch nicht so große Fan-Events weltweit geben. […]. Und es [Ingress] ist ja doch recht amüsant". ("Ingress"-Spieler "kauderwelsch" 2013, zit. von Stingeder 2013, Camcorder-Videoaufzeichnung) [13]
Sieht man von den Gefahren der Auswertung bzw. der Vernetzung von scheinbar "zusammenhangslos" scheinenden "Ingress"-Feedback-Daten ab, so zeigt "Ingress" – dank des motivierenden Game-Designs und nicht zuletzt bedingt durch die finanzielle Schlagkraft des Weltkonzerns Google – den soziokulturellen Bedeutungswandel des digitalen Spiels: Spiele per se und das Spiel als soziale Interaktion sind aktuell dabei, alle Bereiche unseres Lebens zu erfassen. Pearce spricht in der Schlussbetrachtung ihres Buchs "Communities of Play" von einem Bedeutungswandel des "globalen Dorfs", weil das "Global Village" nun (wieder) auf Zusammenarbeit und sozialer Interaktion beruhe. Diese Interpretation erscheint im Rahmen der heutigen, zunehmend vernetzten Videospiel- und Videospiel-Gemeinschaftskultur sehr treffend: "Today’s global village is discursive, collaborative, emergent, and highly social. New research has shown that far from being isolated and alienated by technology, today’s wired and wireless youth are more social and more connected than ever before. Instant messaging, mobile phone texting, and virtual worlds enable kids to remain in constant contact with their friends and families. […] Virtual worlds are becoming a growing part of this media mix." (Pearce 2009: 278) [14]
In Bezug auf "Ingress" kann die vielfach gestellte Frage, ob Spieler des Augmented-Reality-Games kein "Leben" haben, nun sehr schön beantwortet werden: Zwar sei es laut Pearce richtig, dass in der westlichen Kultur das Spiel bzw. digitale Spielformen (gesellschaftlich breit akzeptiere Sportarten sind davon ausgenommen) traditionell am Rand der gesellschaftlichen Akzeptanz angesiedelt sind und mit Argusaugen betrachtet werden, jedoch befinden wir uns an der Schwelle zu einem neuen digitalen Zeitalter. Spieler mit technischer Affinität oder Hang zum "Blick über den Tellerrand", welche sich für "Ingress" begeistern, sind also mit Spieler, die multiple virtuelle Heimstätten und unterschiedlichen digitalen Alter Egos völlig normal finden, durchaus vergleichbar (vgl. Pearce 2009: 279) [15]. Allerding gibt es laut "kauderwelsch" durchaus auch Spieler, die weniger technikaffin bzw. keine "Digital Natives" sind [16]: "Digital Natives [umschreibt] jene Generation, welche sehr versiert mit den neuesten digitalen Technologien umgehen kann. Die Zugehörigen der Generation wurden in dieses Zeitalter hineingeboren." (Gründerszene.de 2013: Internetquelle) [17]
Nichtsdestoweniger kann es als sehr wahrscheinlich angenommen werden, dass wir in wenigen Jahren Nachfolgespiele von Augmented-Reality-Schnitzeljagden wie "Ingress", MMORGs wie "World of Warcraft" und "Star Trek Online" oder Metaversen/MMOW wie "Second Life" oder "There.com" voraussichtlich als banal und selbstverständlich erachten. Diese werden dann ebenso alltäglich und gewöhnlich sein wie Film und Fernsehen im Alltags- und Freizeitleben vieler Menschen heutzutage.
Weiterhin sehr spannend und konfliktträchtig ist vermutlich die zu erwartende Bedeutungsentwicklung der Konzerne als Betreiber von Spielen. Sei es im Fall von kostenfreien Datamining-Plattformen wie "Ingress" oder in Form von Bezahldiensten wie bei klassischen Multiplayer-Games. Angesichts der kürzlich ans Tageslicht gelangten Kooperation von profitorientierten Unternehmen mit staatlichen Spionage-Institutionen hält die Zukunft sicherlich spannende Fragen, ergiebiges Forschungspotential sowie wirtschaftspolitischen bzw. soziokulturellen Sprengstoff bereit: Die Rolle von Communities im Kontext von "Vergemeinschaftung" als Verdichtung und Resultat von digitaler Interaktion, die Frage nach dem Eigentum der virtuellen Identität und die Rolle von Datenschutz und Datenspeicherung. Alle genannten Aspekte befinden sich im Spannungsfeld und in stetiger Wechselbeziehung zueinander – soziale Dynamik, wirtschaftliches Profitstreben und nicht zuletzt: jene auf Sicherheitserhaltung ausgerichtete – mit der NSA-Affäre in den öffentlichen und medialen Brennpunkt gelangte – strategische Datensammlung und Datenvernetzung: The game is on!
Fazit: Angesichts aktueller Entwicklungen rund um mannigfaltige Abhör- und Datenschutzskandale ist eine skeptische Grundhaltung bei der Betrachtung und Bewertung von ortsbasierten Multiplayer-Games à la "Ingress" nachvollziehbar und angebracht. Aller Skepsis zum Trotz ist "Ingress" aktuell ein gutes Veranschaulichungsbeispiel dafür, dass Games und virtuelle Welten an einem Wendepunkt der gesellschaftlichen Akzeptanz stehen. Spiele und virtuelle, spielerische Interaktion sind aktuell dabei, alle Aspekte unseres Lebens zu durchdringen.
# # # Karl H. Stingeder # # #
[1] Pichler, Georg (2013): 13 Magnus: Resistance erringt Sieg bei "Ingress"-Event in Wien, online unter:http://derstandard.at/1381373670607/13Magnus-Resistance-erringt-Sieg-bei-Ingress-Event-in-Wien (letzter Zugriff: 19.11.2013).
[2] ebd.
[3] Schischka, Sabine (2013): Google Ingress kommt auch für iOS, online unter:http://www.pcwelt.de/news/Googles_Ingress_kommt_auch_fuer_iOS-AR-Spiel-8249982.html (letzter Zugriff: 22.11.2013).
[4] Autor unbek. (2005): C&C Tiberiumkonflikt, online unter:http://web.archive.org/web/20080209172454/http://www.cnc-inside.de/infos.php?anzeige=detail&artid=10(letzter Zugriff: 20.11.2013).
[5] Autor unbek. – Webforum Synonym "Azygos" (2013): Kommentar zum Artikel: 13 Magnus: Restistance erringt Sieg bei "Ingress"-Event in Wien, online unter: http://derstandard.at/1381373670607/13Magnus-Resistance-erringt-Sieg-bei-Ingress-Event-in-Wien (letzter Zugriff 19.11.2013).
[6] Stingeder, Karl H. (2011): Rezension: Vergemeinschaftung in MMORPGs. von Rudolf Thomas Inderst, online unter: http://www.medienimpulse.at/articles/view/303 sowie unter https://mobil.slam-zine.de/php/bookreview_vergemeinschaftung_in_mmorpgs_vwh,20086,26752.html (letzter Zugriff: 30.12.2013).
[7] ebd.
[8] Möchel, Erich (2013): Verdacht auf NSA-Wirtschaftsspionage erhärtet, online unter:http://fm4.orf.at/stories/1724656/ (letzter Zugriff: 20.11.2013).
[9] Porteck, Georg (2013): Vive la Résistance! Ingress: Googles Augmented-Reality-Spiel, in: ct. Magazin für Computertechnik, 2013, 18, 84–85.
[10] ebd.
[11] Zeit Online, Autor unbek. (2012): Google kauft Verkehrs-App Waze, online unter:http://www.zeit.de/digital/internet/2013-06/google-waze-uebernahme (letzter Zugriff: 22.11.2013).
[12] Autor unbek. – Webforum Synonym "snuffi" (2013): Achtung: Passwörter auf Autgress.at, online unter: http://forum.enlightened.at/viewtopic.php?f=11&t=842&hilit=13Magnus (letzter Zugriff 22.11.2013).
[13] Stingeder, Karl. H. (2013): Videomitschnitt des "13Magnus"-Community-Events am 16.11.2013 in Wien (letzter Zugriff: 20.11.2013), Interviewpartner: "kauderwelsch" [Freigabe durch den Interviewpartner autorisiert, dem Autor des Artikels persönlich bekannt].
[14] Pearce, Celia (2009): Communities of Play. Emergent Cultures in Multiplayer Games and Virtual Worlds, Massachusetts: University Press.
[15] ebd.
[16] Stingeder, Karl (2013): telefonisches Interview mit "kauderwelsch" am 21.11.2013.
[17] Autor unbek. (2013): Digital Native, online unter: http://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/digital-native (letzter Zugriff: 22.11.2013).