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Viennale 2010

logovneu4c (c) Viennale
Nach knappen zwei Wochen ist Österreichs größtes Filmfestival wieder zu Ende. Einige Produktionen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen und finden hoffentlich einen Verleih für die große Leinwand oder werden zu mindest auf DVD bei uns erscheinen.


logovneu4c (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDie Viennale ist zwar Wiens internationales Filmfestival, sie wäre aber nur halb so lustig, gäbe es nicht auch österreichisches Kino zu sehen. Eine von 13 Weltpremieren in diesem Jahr war "Die verrückte Welt der Ute Bock". Die Dame betreibt in Wien ein Wohnheim in dem sie obdachlose Flüchtlinge und Asylwerber betreut. Das ist eigentlich alles andere als lustig. Die Bekanntschaften, die sie dabei mit grantigen Wiener Nachbarn und der österreichischen Politik macht, zeichnen sogar ein Bild vom Umgang mit Fremden, bei dem einem übel werden kann.


Ute Bock 1 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDass die Spieldoku dennoch unterhaltsam ist, liegt an der Nüchternheit mit der Ute Bock allen Problemen begegnet. Der persische Regisseur und praktizierende Psychiater Houchang Allahyari setzt Episoden aus dem Leben der Flüchtlingshelferin mit heimischen Film- und Kabarettstars in Szene. Josef Hader, Roland Düringer, Viktor Gernot, Andreas Vitasek, Dolores Schmidinger, Karl Markovics, Julia Stemberger und Alexander Pschill besuchen Ute Bock in ihrer verrückten Welt.


Ute Bock 2 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenNeben viel Improvisation, den Episoden und dem zentralen Handlungsstrang über eine armenische Familie, gibt der Film tatsächlich Einblick in die Arbeit des Vereins Ute Bock. Es sind diese Momente, in denen der triste Alltag des österreichischen Fremdenrechts die gespielten Epsioden und den geskripteten Ablauf wieder einholt, in denen der Film am stärksten ist. "Die verrückte Welt der Ute Bock" läuft in Österreich bereits im regulären Programm.


Leslie 1 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenEbenfalls auf einer wahren, traurigen Geschichte beruhend aber dennoch ganz anders und unverhohlen lustig ist "Leslie, My Name Is Evil". Eines Tages wird Perry (Gregory Smith), ein junger Chemiestudent, als Geschworener für den größten Mordprozess des Jahrzehnts ausgewählt. Im Gerichtssaal trifft er auf Charles (Ryan Robbins) und seine Familie, ein Haufen rattenscharfer Hippie-Girls auf LSD. Analogien zur Manson-Family sind mehr als beabsichtigt. Im Zentrum der Handlung steht die eiskalte Schönheit Leslie (Kristen Hager), mit der Perry im Gerichtssaal zu flirten beginnt. Parallel werden die Vorgeschichten der beiden Twens erzählt. Während Perry eine hübsche, gottesfürchtige Freundin (Kristin Adams) findet und mit ihr, im Kreis der Familie, Loblieder auf seinen Herrn Jesus Christus singt, kämpft Leslie mit der Scheidung ihrer Eltern, der Abtreibung die ihr ihre Mutter aufzwingt und der Suche nach einem tieferen Sinn.


Leslie 2 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenGekonnt entlarvt der Film des Kanadiers Reginald Harkema, der für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft im Amerika der 1960er Jahre; etwa wenn der Verteidiger pikiert Einspruch erhebt, die Zeugin der Anklage möge der Jury bitte all die grafischen Details der Sexorgie auf der Manson-Ranch ersparen und sich auf das wesentliche, die Details der Morde, konzentrieren. Spätestens da ist klar: Mord und das Tabuthema Sex sind beide verwerflich, über ersteres kann man aber öffentlich sprechen und eine Meinung haben. Den Höhepunkt des absurden Wertesystems erreicht Perry in seinen spätpubertären Fantasien, wenn er den Akt des Tötens in eine quasi-sexuelle Handlung umdeutet. Angetörnt von Leslies Aussagen vor Gericht opfert er, in einem feuchten Traum, seine jungfräuliche Verlobte, die ihm stets die Vorzüge der Enthaltsamkeit predigt und vorlebt. Schlagfertigstes Argument der bigotten Blondine dafür: "I`m a women, I`m a sinner."


High School 1 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenWeniger politisch, dafür umso mehr auf Drogen und ihre Wirkung fixiert ist John Stalbergs Spielfilmdebüt "High School". Die Kifferkomödie weiß vor allem durch einen exzellenten Cast und genretypischen, aber immer noch erheiternden Klamauk zu überzeugen. Adrien Brody sorgt als abgedrehter Dealer für Stirnrunzeln, wenn er mit seiner Kröte ins Zwiegespräch eintritt, genauso wie die vietnamesische Buchstabiermeisterin Phuc, die völlig high versucht ihren Titel zu verteidigen. Auf diesen Eklat vor laufenden Kameras erklärt Direktor Gordon (Michael Chiklis) für seine Highschool einen radikalen Kreuzzug gegen Marihuana. Ein verpflichtender Drogentest für alle Schüler soll alle Potheads entlarven.


High School 2 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenFür Henry (Matt Bush), der als Jahrgangsbester die Schule verlassen möchte um am renommierten MIT zu studieren, kommt das allerdings sehr ungelegen. Hat er sich doch gerade von seinem Jugendfreund Travis (Sean Marquette) dazu überreden lassen erstmaligen einen durchzuziehen. Die beiden Charaktere laufen im Film zur Höchstform auf mit mehreren Tricks und Kniffen den Test zu desavouieren. Auch die beiden jungen Darsteller wissen dabei meist zu glänzen und gut zu unterhalten. Lustig und sehenswert auch für Menschen die nicht dem sticky green verfallen sind.


Zweifellos eine der Entdeckung bei der diesjährigen Viennale ist ein weiterer Debütfilm. Maria Speths gibt in ihrem Dokumentarfilmdebüt "9 Leben" gemeinsam mit Kameramann Reinhold Vorschneider Berliner Straßenkindern, Punks und Junkies die Möglichkeit ihre Lebensgeschichte zu erzählen.


9 Leben (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDass die Geschichten über Missbrauch, häusliche Gewalt und Konflikte mit den Eltern, die zum Ausreißen aus dem (mehr oder weniger) trauten Heim führten, nicht zum Sozialporno werden, schafft Speth durch einfühlsame Fragen, spürbar aufgebautes Vertrauen zu den Protagonisten und, in erster Linie, durch Setting und Bildsprache des Films. Allem voran die Entscheidung in hochauflösendem Schwarz-Weiß zu drehen entfernt die Punks von sonst gezeigten Stereotypen. Ein leerer weißer Raum im Studio befreit von bildhaften Assoziationen mit ihrer sonstigen Lebenswelt am Bahnhof Zoo, dem Breitscheid- oder Alexanderplatz.


Auch wenn die Geschichten von Drogenabhängigkeit, Verwahrlosung, Verlust und neu gewonnener Freiheit nicht neu sind, haben sie eine Intensität die über 105 Minuten nie verloren geht. Hinzu kommt dass einige der porträtierten Außenseiter (gerade) den Sprung zurück in die Normalität eines geregelten Lebens geschafft haben.


Japan 1 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenEin weiteres Porträt von Menschen am Rande der Gesellschaft liefert der Brite Sean McAllister mit "Japan: A Story of Love and Hate" ab. Für die BBC sollte er eine Japan-Doku produzieren, doch fand bis vor kurzem keinen Aufhänger für seine Story. Bis ihm Naoki über den Weg lief.


Der gute Mann ist ein gealterter Revoluzzer, der in seinem Leben so ziemlich alles verloren hat was man verlieren kann. Einst in der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg und die amerikanische Truppenpräsenz in Japan aktiv, hat er seine Ideale gegen wirtschaftlichen Erfolg und einen fetten BMW eingetauscht. Der Fall in den wirtschaftlich harten 1990er Jahren war tief, eine Familie die ihn auffangen hätte können, gibt es nicht.


Japan 2 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenHeute lässt sich Naoki von seiner um einiges jüngeren Freundin Yoshie aushalten und arbeitet Teilzeit als Briefträger. In Japan bedeutet das sieben Stunden täglich schuften. Naokie und Yoshie gewähren einen Blick in den grauen Alltag der japanischen Unterschicht und in eine Gesellschaft, deren Regeln, Rituale und Eigenheiten sich einem europäischen Betrachter nur schwer erschließen. Untertitel wären dafür nützlich gewesen. Leider gab es auf der Viennale nur eine Kopie ohne helfenden Text zu sehen.


Forgotten Space (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenEin Dokumentarfilm, der sich kritisch mit den Paradigmen der Weltwirtschaft auseinandersetzt und dabei einen gewissen künstlerischen Anspruch nicht verlieren möchte, ist "The Forgotten Space" von Allan Sekula und Noël Burch. Die niederländisch-österreichische Koproduktion hat auf dem Filmfestival von Venedig schon für Aufsehen gesorgt und den Spezialpreis der Jury verliehen bekommen. Eigentlich sollte der Film in der gegenwärtigen Form von den Auftraggebern nicht akzeptiert werden, da er als zu kritisch, zu schwierig und gänzlich unverständlich angesehen wurde. Das Thema dürfte mit der Auszeichnung und viel weiterem Lob auf internationalen Festivals vom Tisch sein.


Somewhere 1 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenEbenfalls mit einer Adelung aus Venedig, dem Goldenen Löwen, trat Sofia Coppolas vierter Film bei der Viennale an. Eins vorweg: Nach "The Virgin Suicides", "Lost in Translation" und "Marie Antoinette" ist "Somewhere" Coppolas uninteressantester Film. Er ist ein Ausschnitt aus dem unwirklichen Leben eines Menschen, der im Paralleluniversum Hollywood existiert und den Kontakt zur realen Welt zu verlieren droht. Johnny Marco (Stephen Dorff) lebt im legendären Chateau Marmont Hotel und verbringt dort, zwischen Dreharbeiten und unnötigen Presseterminen, die meiste Zeit seines Tages. Unverhofft bekommt er Gesellschaft von seiner elfjährigen Tochter Cleo (Elle Fanning), da sich seine Ex zur Selbstfindung aus dem Leben des Kindes verabschiedet. Aus der Pflicht zur Fürsorge entwickelt sich eine zusehends spannendere Beziehung der beiden.


Somewhere 2 (c) Viennale / Zum Vergrößern auf das Bild klickenNeben einer soliden schauspielerischen Leistung von Stephen Dorff, Elle Fanning (die kleinere Schwester von Schreihals Dakota Fenning), Chris Pontius ("Jackass") in einer sympathischen Nebenrolle und einem Cameo von Benicio Del Toro ist der eigentliche Star des Films das Chateau Marmont am Sunset Boulevard. Am 11. beziehungsweise 12. November 2010 startet "Somewhere" in deutschen und österreichischen Kinos.



# # # Felix Reiterer # # #

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