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Special: Die Coen-Brüder

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The world is full of complainers. The fact is, nothin` comes with a guarantee … something can all go wrong. Go ahead, complain, tell your problems, ask for help … and watch`em fly. In Russia they got it mapped out so that everyone pulls for everyone else. That´s the theory anyway. What I know about is Texas, and down here, you`re on your own.

arizona_junior_43797 / Zum Vergrößern auf das Bild klickenIn den Filmfabriken von Hollywood steht heutzutage oftmals der einspielbare Gewinn eines Filmes und die optimale Vermarktung, beziehungsweise Verarbeitung im Mittelpunkt. Es scheint als ob die optimale Auslastung der Filmindustrie und die Ausschöpfung aller vorhandenen filmtechnischen Möglichkeiten mit Unsummen an Geld beinahe eine Notwendigkeit sind um einen erfolgreichen Streifen zu produzieren. Die einfachen Visionen eines guten Filmes und das Hauptaugenmerk auf die bestmögliche und wirkungsvollste Art der Darstellung des Inhaltes, weichen zusehends der Frustration dass innovative Ideen auf reine Zahlen reduziert und zerstört werden. Dass es aber in einigen Fällen auch anders funktionieren kann, beweisen uns in ganz besonderem Ausmaß die Brüder Ethan und Joel Coen.


Irgendwas ist hier anders

Ihre Art der Filmkonzeption unterscheidet sich primär dadurch, dass sie eine Art der alles überblickenden Position im gesamten Ablauf der Filmproduktion einnehmen und somit das Gesamtkonzept Film besser im Blickfeld haben als die meisten, in ihren Aufgabenbereichen eingeschränkten, Mitarbeiter Hollywoods. Die Coen-Brüder sind in vielen ihrer Filme Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in einer, beziehungsweise zwei Personen. Sie sind für den Schnitt genauso verantwortlich wie für die Auswahl der Schauspieler und Drehorte. Sie schreiben ihre Drehbücher selbst und stehen dabei immer im Dialog zueinander, sie diskutieren über bessere Darstellungsmöglichkeiten und die Entwicklung der Geschichte im Skript. Dabei wirken sie beinahe wie auf eine unheimliche Art telepathisch miteinander verbunden und beweisen ein außergewöhnliches Gespür für schwarzen Humor. Auch ist die allgegenwärtige und durchwegs sehr gute Leistung von fast allen Schauspielern, die mit den Coen-Brüdern gearbeitet haben, nicht alleine der Verdienst der Schauspieler. Vielmehr resultieren diese schauspielerischen Leistungen daraus, dass die Gebrüder Coen auch hier nichts dem Zufall überlassen haben. Bei einem Coen-Film wird nämlich nicht, wie üblich, zuerst das Drehbuch geschrieben und anschließend die Schauspieler ausgewählt, nein, hier wird schon beim Schreiben des Skriptes ein Wunschdarsteller fixiert, welchem die Rolle direkt auf den Leib geschrieben wird. Dies ermöglicht klarerweise eine viel detailliertere Darstellung der Figuren und lässt diese um einiges authentischer erscheinen. Das erklärt auch, warum einige Schauspieler kontinuierlich in den Filmen der beiden Brüder auftauchen. Seit Beginn ihrer filmischen Tätigkeit haben sie sich gewissermaßen eine Riege von Stammschauspielern erhalten, auf die sie immer wieder zurückkommen können und welche auch bei Bedarf um Größen wie Jeff Bridges, John Goodman, George Clooney, Brad Pitt, John Malkovich und Tommy Lee Jones erweitert wird.


Die jungen Jahre


Um diese unkonventionelle Art der Filmkonzeption besser durchleuchten zu können, lohnt sich ein großer Schritt in die Vergangenheit zu den Anfängen der Coen Brüder. Ethan, geboren 1954, und Joel, geboren 1957, wuchsen in einem Vorort von Minneapolis auf und entdeckten sehr früh ihre Vorliebe für den Film. Es dauerte nicht lange bis Joel genug Geld mit dem Mähen der Nachbarrasen verdient hatte um sich eine Vivitar Super 8-Filmkamera zu kaufen. Gemeinsam mit seinem Bruder und einem Jungen aus der Nachbarschaft drehten sie Filme nach, die sie im Fernsehen gesehen hatten. Nach Abschluss der Highschool und des Colleges trennten sich die Wege der beiden Brüder und Joel besuchte ein vierjähriges Filmprogramm an der New York University. Seine Abschlussarbeit war der dreißig Minuten lange Film
Soundings in dem eine Frau, während sie Sex mit ihrem tauben Freund hat, lautstark darüber fantasiert mit dem besten Freund ihres Freundes, der die ganze Szene aus dem Nebenraum belauscht, zu schlafen. Ethan hingegen ging an die Princeton University und schrieb über die späte Philosophie von Wittgenstein. Während Ethan zahlreiche Kurzgeschichten in Magazinen wie The New Yorker, Playboy, und Vanity Fair veröffentlichte, arbeitete Joel als Produktionsassistent bei vielen Filmen und Musikvideos mit. Dabei entwickelte er ein Talent für den Filmschnitt und arbeitete als assistant film editor in Sam Raimis The Evil Dead (1981) mit.


Where Blood is involved, nothing is simple

arizona_junior_43801 / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDrei Jahre später wurde mit
Blood Simple das gemeinsame Filmdebut der Coen-Brüder veröffentlicht und stellte klar, dass damit eine komplett neue und innovative Art des Independent Film geschaffen wurde. Die Handlung in Blood Simple konzentriert sich auf den Barbesitzer Ray (John Getz), welcher den Privatdetektiv Loren Visser (M. Emmet Walsh) anheuert um seine Frau Abby (Frances McDormand) zu ermorden. Dieser doch recht einfach klingende Plot ist jedoch nur das Grundgerüst für eine völlig ungewöhnliche Art des Films und der Filmproduktion. Die Coens erhielten die Möglichkeiten diesen Film völlig abseits von Hollywood zu drehen und nur dadurch, durch diese völlige Abwesenheit von jeglicher Filmindustrie, war es möglich den Film so zu drehen wie er gedreht werden sollte. Joel Coen selbst sagte in einem Interview 1985, dass der Grundgedanke des Filmes von Anfang an der war, dass sie alleine an dem Film arbeiten wollten, ohne irgendjemanden, der ihnen sagen würde was zu tun sei. Eine wichtige Neuheit der Coen-Brüder war die grundsätzlich schwierige Verbindung von art-house cinema mit Elementen des populären Unterhaltungskinos. Diese Verbindung wirkt bei den Coen Brothers geradezu unproblematisch und erweckt den Eindruck als würden beide Stile so gut zusammenpassen wie Kaffee und Zigaretten. Oder John Lennon und Yoko Ono. Beim Ansehen des Filmes wird einem sehr schnell bewusst, dass keiner einzigen Szene in dem Film Bedeutungslosigkeit oder Sinnfreiheit zu attestieren ist. Nur als Beispiel seien die verblasst und einsam wirkenden ersten Bilder des ruralen Texas in Blood Simple genannt, die nicht nur als Stimmungsaufbau dienen, sondern auch gleichzeitig als Projektion der Gedankenwelt des anfänglichen Erzählers und Privatdetektives Loren Visser fungieren. Die unbewohnte, trostlose und unfruchtbar wirkende Landschaft, die von unheimlichen, mechanischen Silhouetten der Ölbohrpumpen durchzogen ist, zeigt genau die Weltanschauung des Mannes, der einen Mord ernsthaft in Erwägung zieht und den gesamten Film über enthusiastisch versucht, Fliegen daran zu hindern, auf seinem Kopf zu landen. Die engen, beinahe klaustrophobisch wirkenden Bildbegrenzungen und die Art der nur partiellen Szenenausleuchtung, die man aus dem Film Noir kennt, fungieren bei den Coen Brothers als ironisch-humoristisches Spiel mit dem Verwischen von Genregrenzen und der Kombination verschiedener Genres. In Blood Simple findet man jedoch auch Verweise auf andere, nicht cineastische Darstellungsformen, wie etwa auf die Pulp Fiction von Dashiell Hammett, denn der Name Blood Simple stammt aus dessen Werk Red Harvest. Blood Simple wurde mit einem Budget von $1,5 Millionen und großer Skepsis der privaten Financiers gegenüber dem Konzept der beiden Brüder gedreht, gewann 1985 den Grand Jury Prize bei dem United States Film Festival, war in vielen bedeutenden Top Ten Film Listen vertreten und spielte $5 Millionen ein.


Die Erfolge und das Land der Big Budgets

Nachdem die Brüder recht eindrucksvoll bewiesen hatten, dass ihre neuartige Konzeption nicht zum Misserfolg verdammt war, standen ihnen die Türen zu einem vergleichsweise freien Filmschaffen offen. Schon 1985 begannen sie an ihrem neuen Film Raising Arizona zu schreiben und veröffentlichten den Film zwei Jahre später mit Nicolas Cage und Holly Hunter in den Hauptrollen. Der Film handelt von einem ungleichen Ehepaar, das sich ein Kind wünscht aber keines bekommen kann. Als sie im Fernsehen den lokalen Möbelhausbesitzer seine neugeborenen Fünflinge vorzeigen sehen und dieser zusätzlich im Scherz meint, dass die Fünflinge mehr sind als er und seine Frau verkraften können, ziehen sie kurzerhand los, stehlen eines der fünf Babys und beginnen es als ihr eigenes Kind aufzuziehen. Die darauffolgende Verkettung von unglücklichen Zufällen und das unerwartete Auftauchen von genauso unerwarteten Personen führen zu einem beinahe Screwball-haften Katz und Maus Spiel zwischen Eltern, Kidnappern, Jägern und alten Freunden aus dem Gefängnis. Der Film wirkt einerseits sehr schnell und voll von purer Komik, andererseits gibt es sehr langsame Sequenzen und die drohende Bestrafung hängt während des gesamten Films wie ein scharf geschliffenes Damoklesschwert über den Protagonisten. Ethan und Joel haben hiermit ganz bewusst eine völlig andere Art von Film produziert als sie es mit Blood Simple getan haben. Eigenen Aussagen zufolge wollten sie damit um jeden Preis vermeiden von der Filmwelt als Film Noir Spezialisten abgestempelt zu werden. Raising Arizona wurde zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres 1987 und spielte weit über $22 Millionen ein. Wohlgemerkt bei Produktionskosten von unter $ 6 Millionen.

Es folgte 1990 mit
Miller´s Crossing, eine Hommage an das Genre der Gangsterfilme, 1991 mit Barton Fink eine Oscarnominierte Geschichte über das Finden von Inspiration an den unüblichsten Plätzen und 1994 konnten die Coen Brothers mit The Hudsucker Proxy ihren ersten Big-Budget Film mit Sam Raimi als Co-Writer veröffentlichen. Dieser Ausflug ins Land der großen Budgets endete für die Gebrüder Coen jedoch in einem finanziellen Fiasko. Der Film war für viele Fans eine Enttäuschung und er spielte nur $3 Millionen seines $25 Millionen Budgets wieder ein.
Dieser kommerzielle Flop hatte für die Coens jedoch mehr positive als negative Auswirkungen, da sie dadurch wieder auf das ihnen vertraute Terrain des Low Budget Films zurückkehrten.



Bowling, Schnee und gute Musik

arizona_junior_43799 / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDer im Jahr 1996 veröffentlichte Noir-Thriller Fargo ist der erste Film auf dem altbekannten neuen Terrain und handelt von dem Versuch Jerry Lundegaards (William H. Macy) Geld von seinem Stiefvater zu erpressen. Der ursprünglich gewaltfreie Plan gerät zusehends außer Kontrolle und die Lokalpolizistin Marge Gunderson, gespielt von Frances McDormand, beginnt zu ermitteln. Fargo wird aufgrund seines schwarzen Humors, seiner beinahe comichaft-absurden Situationen, den brillanten Dialogen und der herausragenden Leistung der Schauspieler zu einem vollen Erfolg bei Kritikern und Publikum.

Durch den Erfolg dieses Meisterwerkes gestärkt, machten sich die Brüder sogleich an die Realisierung ihres nächsten Projektes und nur zwei Jahre nach Fargo erschien im Jahre 1998 der, anfangs nur mäßig erfolgreiche, aber mittlerweile zum Kultfilm avancierte Streifen The Big Lebowski. Ein herrlich sarkastischer Jeff Bridges wird hier in der Rolle des völlig antriebslosen Dudes in eine fingierte Entführung hineingezogen und erhält Beistand von seinen psychotisch-fanatischen Bowlingkollegen John Goodman und Steve Buscemi. Zusätzlich wartet The Big Lebowski mit einem unglaublich abwechslungsreichen Soundtrack auf, der so frei von Monotonie ist wie die Filme der Coen-Brüder frei von Vorhersehbarkeit und Mainstream sind. Man findet Bob Dylan und Elvis Costello genauso vertreten wie Nina Simone und die Gipsy Kings. Echte Verwunderung löst hingegen das Vorhandensein von Das Glück, das mir verblieb aus der deutschen Oper Die tote Stadt aus. Am Rande bemerkt, sind alle Soundtracks zu Coen-Filmen eine wahre Schatzgrube an Raritäten und Wohlklängen jeglicher Art. Dieser Verdienst ist wahrscheinlich dem mit einem genialen Gespür für Stimmung und Musik ausgestattetem Carter Burwell anzurechnen, der schon seit Blood Simple für die Musik in jedem einzelnen der Coen-Filme verantwortlich ist.


Die Beweise der Alltagstauglichkeit


2000 folgte dann der nächste große Erfolg der Coen Brüder in Form des Filmes
O Brother, Where Art Thou?, der sich sehr lose an Homers Odyssee orientiert und einen unerwartet komischen George Clooney in der Hauptrolle des Ulysses Everett McGill präsentiert. Natürlich inklusive Sirenen und angepassten Zyklopen. Der nächste Film war ein Noir-Thriller aus dem Jahre 2001 mit Billy Bob Thornton in der Hauptrolle und dem Titel The Man Who Wasn´t There. 2003 wurde der Film Intolerable Cruelty, erneut mit George Clooney in der Hauptrolle, veröffentlicht und gilt bis heute als das am meisten für den Mainstream taugliche Werk der Coen-Brüder. 2004 brachten die beiden schließlich The Ladykillers, ein Remake des Klassikers aus den Ealing Studios, heraus und bewiesen durch die Besetzung der Hauptrolle mit Tom Hanks ein weiteres Mal ihr gutes Gespür für Schauspieler und deren unbekannte Facetten.


Und immer noch hervorragend


2007 traf
No Country for Old Men die Öffentlichkeit mit unerwarteter Brutalität und stellte klar, dass sich die Coen Brothers erneut vom Mainstream Kino entfernten. Es geht, wie so oft in den früheren Filmen der Coens, um Geld. Um Geld, das gefunden wird. Und zwar von jemandem, dem es nicht gehört, aber dieses Geld klarerweise an sich nimmt und auch gleich darauf von einem sinisteren, Endzeitstimmung verbreitenden Killer gejagt wird. Josh Brolin als vermeintlicher Glückspilz, Javier Bardem als genialer Killer (!) und Tommy Lee Jones als beinahe ebenso genialer Provinzkiberer verleihen den Visionen und Anweisungen von Ethan und Joel Coen genau das richtige Maß an Brutalität, Verstörung, Sarkasmus und Dramatik. Das Ganze wird zusätzlich von der Musikauswahl Carter Burwells fantastisch untermalt und grenzt beinahe an ein Gesamtkunstwerk des Filmes.

2008 folgte dann der, um einiges humorvollere,
Burn After Reading mit Brad Pitt, George Clooney, Frances McDormand und John Malkovich in den Hauptrollen dieser, von absurden Situationen gespickten, tiefschwarzen Komödie.

Egal welche Streifen der Coens man bevorzugt, ob es nun die etwas subtileren Filme und ihre Spielereien mit den klassischen Methoden und Techniken der ästhetischen Filmgeschichte sind, oder ob es die massentauglicheren Filme sind, die trotzdem einen bissigen Sarkasmus aufweisen. Alleine aus einem Grund muss man Ethan und Joel Coen danken: Dafür, dass sie uns gezeigt haben, dass Filme nicht immer das Ergebnis von industriell vorgegebenen Parametern und ökonomischen Kalkulationen sein müssen, sondern, dass auch sehr unkonventionelle Filme und Techniken zum weltweiten Erfolg führen können.


# # # Christoph Höhl # # #

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