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Comic-Review: Hard Boiled

Hard Boiled (c) Cross Cult Verlag
Frank Miller muss Comic-Freunden gar nicht erst vorgestellt werden; gemeinsam mit dem Zeichner Geof Darrow kreierte er in den 1990ern die Miniserie "Hard Boiled", die nun neu übersetzt in Gesamtausgabe vorliegt.

Hard Boiled (c) Cross Cult Verlag / Zum Vergrößern auf das Bild klickenHardboiled novel: Das war ab der Mitte der 1920er Jahre die Genrebezeichnung für eine neue Art von Kriminalromanen. Raymond Chandler, Dashiell Hammett und andere entwarfen darin einen neuen Typus von Held: Illusionslos, zynisch, rücksichtslos und hart. Männer der Tat, die mehr auf die Kraft ihre Fäuste und ihr Schießeisen als auf Kombinationsgabe und Scharfsinn vertrauen. Asphaltcowboys, die sich ihren Weg ohne nach rechts oder links zu schauen durch den Sumpf der Großstadt bahnen, knietief in Dreck, Verbrechen, Gewalt, Sex und menschlichen Abgründen watend. Sie quatschen nicht viel, sie schießen gleich. Denn im Zweifelsfall ist die Kugel immer das bessere Argument.

Und auch wenn Millers Comic nicht in den 1920ern, sondern in der Zukunft angesiedelt ist; der Protagonist ist so eine hardboiled Type: Als Reminiszenz an die alten Vorbilder trägt er Trenchcoat und fährt keinen futuristischen Schlitten, sondern einen verbeulten T-Bird. Er ist Steuereintreiber. Und hetzt im chaotischen Großstadtdschungel seine Opfer. Unerbittlich. Denn die Schuld muss beglichen werden. Wen kümmert’s, wenn am Ende nicht nur der Verfolgte, sondern auch hunderte Passanten, die zufällig im Weg standen, ihr Leben gelassen haben? Die Beseitigung der Kollateralschäden übernehmen die Putztrupps seiner Auftraggeber. Er heißt Nixon, er ist brutal, er ist hart, und er ist ein Roboter, einzig dafür entwickelt und darauf programmiert, seinen Auftrag zu erfüllen. Aber er selbst weiß das alles nicht.

„Hard Boiled“ orientiert sich frei an zentralen Motiven einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, für viele die Legende der Science-Fiction-Literatur. Nicht umsonst erinnert Nixon an den „Blade Runner“, das Setting der chaotischen Großstadt scheint ebenfalls stark davon inspiriert. Auch die Fabel vom Homunculus, dem eine Scheinwelt vorgegaukelt wird, damit er seine eigene Identität nicht erkennt und im Sinne seiner Erbauer funktioniert, ist ein immer wiederkehrender Topos in Philip K. Dicks Werk (wieder sei an „Blade Runner“ erinnert, oder auch an „Total Recall“, eine weitere bekannte Dick-Verfilmung).

Der Held in „Hard Boiled“ sagt (und glaubt) von sich selbst, er sei „die Art Mann, die vertraute Dinge zu schätzen weiß. Zusehen, wie die Kinder groß werden. In meinem Wagen fahren. Jeden Morgen die gleichen Nachbarn sehen, das ist mir so vertraut wie mein eigener Name. Seltz. Carl Seltz.“ Er meint eine Frau, zwei Kinder und drei Hypotheken für ein Haus mit zwei Schlafzimmern in der Vorstadt zu haben. Aber das alles ist nur Teil der perfekt konstruierten Scheinwelt. Tauchen in Alpträumen Erinnerungsfetzen an die reale eigene Identität auf, mahnt die fürsorgliche Ehefrau sogleich die Erfüllung der ehelichen Pflicht ein und hält einen dadurch vom Nachdenken ab. Und die lieben Kleinen stehen schon bereit, um Papi nachher eine Spritze zu verpassen, die ihn wieder vergessen lässt. Selbst der Familienhund hat einzig und allein die Aufgabe, zu observieren und verdächtige Verhaltensweisen zu melden.

Aber trotz alledem schleichen sich langsam Irritationen ein. Plötzlich ist sich der Held nicht mehr sicher: Heißt er wirklich Carl Seltz? Nicht Harry Seltz? Oder doch Harry Burns? Und fährt er nun einen T-Bird oder einen Ford Stallone? Ist er jetzt Steuereintreiber oder Versicherungsermittler? Und dann passiert’s: Als er wieder einmal einen Flüchtigen gestellt hat, entpuppt sich dieser als Roboter, als sein Vorgängermodell. Und klärt ihn auf. Und Nixon muss entscheiden: Akzeptiert er die Wahrheit und kämpft - als letzte Hoffnung aller Roboter - gegen seine Programmierung und seine Programmierer an, oder verbleibt er in seiner Scheinwelt?

Die Umsetzung dieser Geschichte ist sowohl erzählerisch als auch zeichnerisch wirklich grandios. Der Leser kann sich in Millers Story, vor allem aber in Darrows riesigen Bildern (gerne ganz- oder doppelseitig), die das Chaos der Großstadt detailverliebt darstellen, richtiggehend verlieren. Nixons Brutalität erscheint so nicht individuell begründet, sondern als Symptom einer per se kranken Gesellschaft. "Hard Boiled" läßt sich dergestalt natürlich als Parodie auf den american way of life lesen; diese Interpretation greift aber ein wenig zu kurz. "Hard Boiled" ist auch Gesellschaftskritik; gerade auch im Motiv des programmierten Individuums, dem eine mit Werbung, Sex und Konsum vollgestopft hohle Scheinwelt suggeriert wird, die das Erkennen der Wirklichkeit verhindert. Die vielen anderen Figuren, die Darrows Großstadt-Welt bevölkern: Sind sie nicht auch wie Nixon seelenlos, Menschen, denen die heile Realität nur vorgegaukelt wird?

Ein Muss für alle Miller-, Darrow- und Philip K. Dick-Fans. Und auch ein Appetizer, denn: Miller soll derzeit in Verhandlungen stehen, "Hard Boiled" als Regisseur zu verfilmen.


###Manuel G. Mattweber###

Cross Cult Verlag

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