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Comic-Review: Coraline (Panini)

coraline (c) Panini
"Coraline entdeckte die Tür, kurz nachdem sie in das Haus eingezogen waren." Mit diesem Satz beginnt der Roman von Neil Gaiman (Sandman) und auch P. Craig Russells Comic-Adaption des Bestsellers. "Geh' nicht durch die Tür!" möchte man der kleinen Heldin deshalb schon zu Beginn zurufen. Doch vergebens.

coraline (c) Panini / Zum Vergrößern auf das Bild klickenCoraline ist mit ihren Eltern in ein altes, abgelegenes Haus gezogen. Und ihr ist langweilig. Die Schule hat noch nicht begonnen und andere Kinder gibt es hier nicht. Der Garten rund ums Haus ist bald erforscht, Vater und Mutter haben kaum Zeit für sie, und dann erst die Nachbarn im Haus: Zwei schrullige alte Damen (samt Terriern), die am liebsten von ihrer glamourösen Vergangenheit am Theater erzählen. Und der Greis, der gleich unterm Dach wohnt und die Grenze zur Senilität schon überschritten hat: Er behauptet steif und fest, er besäße einen Mäusezirkus. Den er aber niemandem zeigen könne, weil die "Artisten" noch nicht alle Kunststücke beherrschten. Und das allerschlimmste: Die Nachbarn können sich nicht einmal Coralines Namen merken und rufen sie andauernd Caroline.

 

Langsam schleichen sich aber Beunruhigungen ein: Der alte, gefährlich tiefe Brunnenschacht im Garten ums Haus. Bedrohliche Träume stören Coralines Schlaf. Eine der alten Schauspielerinnen liest aus Coralines Teesatz, dass diese sich in großer Gefahr befände und schenkt ihr zum Schutz einen geheimnisvollen Stein. Und der alte Zausel unterm Dach richtet ihr eine Warnung seiner Mäuse aus: "Geh' nicht durch die Tür!"

 

Als eines Nachts die Ziegelwand vor der geheimnisvollen Tür verschwunden ist, schießt Coraline diesen Mahnruf in den Wind, überquert die Schwelle und findet dort eine phantastische Parallelwelt, in der alles so ist, wie in der realen, nur viel besser: Mutter und Vater schenken Coraline viel mehr Aufmerksamkeit, Tiere können sprechen, die alten Damen sind wieder jung und haben umjubelte Auftritte vor einem Hundepublikum.

 

Aber es existiert auch Unheimliches auf der anderen Seite: Die Armee von Ratten, die in Coralines Zimmer wohnt. Und dass alle Menschen aufgenähte Knöpfe statt Augen im Gesicht tragen. Ein Paar liegt samt Nadel und Zwirn schon für Coraline bereit: Ihre "andere" Mutter möchte nämlich, dass Coraline für immer bei ihr bleibt, doch sie kehrt in die reale Welt zurück.
 

Dort muss Coraline feststellen, dass ihre Eltern plötzlich verschwunden sind. Die "andere" Mutter hält diese hinter einem Spiegel gefangen. Und Coraline muss ihren ganzen Mut zusammen nehmen und in die Parallelwelt zurückkehren, um ihren Vater und ihre Mutter zu befreien.

 

Türen, die in seltsame Welten führen, Gefangene hinter dem Spiegel – viele werden jetzt wohl Parallelen zwischen Caroline und "Alice im Wunderland" ziehen. Und nicht zu Unrecht, die Geschichte vom kleinen Mädchen, das in eine surreale Phantasiewelt abtaucht, ist stark von Lewis Carolls Klassiker inspiriert. Was der einen das Kaninchenloch ist der anderen eben eine geheimnisvolle Tür.

 

Aber man kann literarisch noch etwas weiter zurückgehen, nämlich zur Deutschen Romantik. Die Rattenarmee und ihr Anführer erinnern an das Märchen "Der Nussknacker und der Mäusekönig" von E. T. A. Hoffmann, der die dunkle, bedrohliche Seite dieser Literaturepoche in seinen Märchen und Geschichten vertrat wie kein anderer.

 

Russell vertraut ganz auf die Dynamik und Stärke der Geschichte und hat seinen Comic in den Dienst der Erzählung gestellt. Seine Zeichnungen sind klar, realistisch und unaufgeregt gehalten. Diese Zurückgenommenheit und Stille der Bildsprache lässt der Handlung viel Raum, sich langsam und in aller Ruhe zu entwickeln. Der Leser wird dadurch nicht überfahren, sondern sanft und stetig in die (Un-) Tiefen der Geschichte von Coraline eingetaucht.

 

Der Comic ist vielerlei: ein poetisch-surreales Märchen, eine (Alb- Ttraumphantasie, eine Gothic Novel, eine Parabel über das Erwachsenwerden, eine Entwicklungsgeschichte; und gerade diese Vielfalt an Lesarten macht die Faszination dieser Geschichte aus.

 

Im Juni kommt eine Verfilmung von "Coraline" in die heimischen Lichtspieltheater. Deshalb noch ein Hinweis: "Coraline" ist nicht der Comic zum Film! Dem Trailer nach zu schließen handelt es sich um einen abgedrehten Stop-Motion-3D-Trickfilm à la Tim Burton, Regie führte Henry Selick ("The Nightmare Before Christmas"). "Coraline" von P. Craig Russell ist hingegen eine nahe am Originaltext angesiedelte, in ruhige und realistische Bilder gehaltene Umsetzung des Buches von Gaiman. Poetisch, surreal, verstörend und märchenhaft.

 

# # # Manuel G. Mattweber # # #


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